GRÜNE Bezirksrät*innen: Aus dem „Ländle“ lernen?

Aus dem „Ländle“ lernen? Bildungsreise der Bayer. GRÜNEN Bezirksrät*innen nach Stuttgart

In bewährter Tradition taten auch in diesem Jahr – nach längerer Corona-Pause – die bayerischen GRÜNEN Bezirksrätinnen und Bezirksräte mit einer Bildungsreise einen Blick über die Grenzen Bayerns hinaus. Dieses mal ging es zu verschiedenen Einrichtungen nach Stuttgart.

Im Zentrum für Seelische Gesundheit des Klinikums Stuttgart berichteten der  Ärztliche Direktor der Klinik für Spezielle Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie, Prof. Dr. Dr. Martin Bürgy zusammen mit seinem Team (Dr. Ilja Spellmann, Ärztlicher Leiter des Sozialpsychiatrischen Behandlungszentrums und Oberärztin Dr. Tea Kopadze) über die Struktur und Vielfalt der vielen Angebote des Klinikums und seiner „Zweigstellen“. Näheres dazu hier: https://www.klinikum-stuttgart.de/kliniken-institute-zentren/zentrum-fuer-seelische-gesundheit/startseite 


In der Diskussion mit den Bezirksrät*innen wurde deutlich, dass das A&O einer guten psychiatrischen Versorgung in einer echt gelebten Koordination und Kooperation der Angebote liegt, was in Stuttgart bereits ziemlich gut gelingt, aber nach Ansicht des Ärztlichen Direktors durchaus auch noch ausbaubar sei. Positiv ist die sozialraumorientierte, „personennahe“ Versorgung in einer Art „Case-Management“ durch alle Einrichtungen – egal ob ambulant oder stationär – hindurch und die enge Einbindung von insgesamt 50 Sozialarbeiter*innen auf Augenhöhe mit dem medizinischen Personal.  In der Forderung wesentlich mehr in ambulante Strukturen zu investieren und sich um diese zu kümmern und stationäre Einrichtung eher langsam zurückzufahren, waren sich alle Diskussionsteilnehmer*innen sehr schnell einig. Die Besucher*innen aus Bayern konnten auch auf ein good-practice-Beispiel verweisen und zur Nachahmung empfehlen; nämlich den vor kurzem in ganz Bayern mit einer einheitlichen Telefonnummer eingerichteten, 24 Stunden und 7 Tage erreichbaren Krisendienst für Menschen in psychischen Krisen sowie Angehörige, Mitbetroffene und Fachstellen. Hier können Anrufer*innen mit speziell geschulten, erfahrenen Fachkräften sprechen, die sich um telefonische Beratung, Vermittlung ambulanter Krisenhilfe, um mobile Einsätze vor Ort bis hin zur Vermittlung in stationäre (Krisen-)Behandlung kümmern.

Beim anschließenden Gespräch im Gesundheitsministerium mit Gesundheitsminister Manne Lucha wollten die GRÜNEN Rät*innen natürlich über die GRÜNEN Erfolge aus den vergangen Jahren informiert werden. Allerdings machte sich schnell auch Nüchternheit breit, da auch hier im Ländle noch keine Berge versetzt wurden.  Als wirklich sehr gute Ansätze hob der Minister das aktuell gestartete Impulsprogramm Kurzzeitpflege (Projektförderung „Innovationsprogramm Pflege 2023“) hervor. Dieses neu aufgelegte Förderprogramm dient dem Ziel der Stärkung von qualifizierten Kurzzeitpflege- und Verhinderungspflegearrangements sowie von Tages- und Nachtpflegeangeboten. 
https://sozialministerium.baden-wuerttemberg.de/de/gesundheit-pflege/pflege/wohnen-im-alter/innovationsprogramm-pflege/ 


Ein weiteres herauszuhebende Programm des Landes Baden-Württemberg ist die Strategie „Quartier 2030 – Gemeinsam. Gestalten“. Dieses Programm unterstützt Städte, Gemeinden, Landkreise und zivilgesellschaftliche Akteure bei der alters—und generationengerechten Quartiersentwicklung. Ziel ist es, lebendige Quartiere zu gestalten – also Nachbarschaften, Stadtteile oder Dörfer, in die Menschen sich einbringen, Verantwortung übernehmen und sich gegenseitig unterstützen. Siehe dazu www.quartier2030-bw.de  Das Land hat außerdem ein ausgiebiges Anwerbe- und Qualifizierungsprogramm für Fachkräfte aus dem Ausland aufs Gleis gesetzt. Hierbei wurde auch mit dem Innenministerium eine menschenfreundliche Auslegung der Ausländergesetze realisiert.  
Im Bereich der Eingliederungshilfe, deren Zuständigkeit auch im Gesundheitsministerium liegt, hob der Minister das „Budget für Arbeit“ und die neuen Förderrichtlinien für den Neubau von Werkstätten hervor. Demnach werden in Ba-Wü nur noch Mittel für den Bau von Werkstätten vom Land frei gegeben, wenn die Konzeption die Ziele der Dezentralisierung (Regionalisierung) und der Verkleinerung und/oder neue und innovative Modelle erfüllen. Auch beim Gesundheitsminister wurde aus Bayern das 24/7-Krisentelefon (s. oben) zur Nachahmung wärmstens empfohlen.

Sehr erfreut zeigten sich die Gäste aus Bayern, dass sich beim gemeinsamen Abendessen, das sich an eine interessante Stadtbesichtigung (inklusive Plenarsaal des Landtags und Besuch der Abgeordnetenbüros) anschloss, neben Gesundheitsminister Manne Lucha auch noch die Kultusministerin Theresa Schopper als Gesprächspartnerin dazugesellte. Für einen lebhaften (Experten-)Austausch war damit gesorgt. Theresa Schopper, die lange Zeit in Bayern politisch aktiv war, erklärte, wie schwierig die Umsetzung der UN-BRK im schulischen Bereich sei und wünschte sich hier, schneller innovative Projekte umsetzen zu können. Auch in der Zuständigkeit der Ministerin ist das Thema Fachkräftemangel herausfordernd.

„So wie ich bin!“
Der Wahlspruch im bhz Stuttgart e.V. (https://www.bhz.de/ ), das ebenfalls auf der Besucherliste stand, lautet „So wie ich bin!“. Im BHZ sind an insgesamt 18 Standorten ca. 600 Menschen beschäftigt, davon ca. 180 hauptamtliche, 370 im Berufsbildungs- und Arbeitsbereich, ca. 60 in Förder- und Betreuungsgruppen, aber auch in betriebsintegrierten Arbeitsplätzen. Das bhz bietet neben andren Einrichtungen, wie z.B. besondere/stationäre und ambulante Wohngruppen die Basisstrukturen von Werkstätten für Menschen mit Behinderung und ist diesbezüglich erst einmal noch kein „Leuchtturm“.  Darüber hinaus aber faszinierte  die Werkhausleiterin Petra Mack und Vorstandvorsitzende Irene Kolb-Specht mit den vielen innovativen Ansätzen innerhalb der Werkstätten, die zum großen Teil zusammen mit den Mitarbeiter*innen mit Behinderung erarbeitet und konzeptioniert werden. Als Beispiele seien genannt der Betrieb eines Tafel-Ladens, ein Nähzentrum, das Kreativzentrum, in dem Altmaterialien upgecycelt werden, eine Kaffeerösterei, die aktuell auch eine Ausweitung erfährt, ein Bistro mit kleinem Restaurant und ca. 100 Essen, die an Gäste außerhalb der Einrichtung ausgegeben werden  (Mittagspause), Cateringangebote u.v.m. 
Im Bereich des Kreativzentrums wurde der „Casual Friday“ eingeführt, ein Kreativtag, an dem die Mitarbeiter*innen neue Ideen, neue Techniken und neue Projekte einbringen.  Anhand der Kaffeerösterei wurde aufgezeigt, dass die beschäftigten Menschen mit Behinderung in allen Produktionsschritten, aber auch an Teilen der Konzeptionierung bis hin zur Auswahl der Kaffeemischung und der Entwicklung der Röstprofile eingebunden sind.

Nach einem gemeinsamen Mittagessen im Bistro Cube, eine Einrichtung des bhz, ging es zu NIKOlino (https://www.nikolino-stuttgart.de/), einem Inklusionskindergarten. NIKOlino ist eine Einrichtung der Nikolauspflege. Die Nikolauspflege selbst ist eine Einrichtung mit 160-jähriger Geschichte und auf insgesamt sieben Standorte in Baden-Württemberg verteilt. Zielgruppe sind Menschen mit Sehbehinderung; das Angebot umfasst, neben dem frühkindlichen Bereich (Krippe, Kindergarten, Schulkindergarten mit inklusiver Ganztagesgruppe) auch alle möglichen Beschulungsmöglichkeiten bis hin zu einer Vielzahl von Beratungs- und Förderangeboten. Im NIKOlino wird die Inklusion nicht nur groß geschrieben, sondern auch vom Herzen gelebt. Sabine Stoll, Leiterin des Frühkindlichen-vorschulischen Bereichs erläuterte zusammen mit ihrem Kollegen und Geschäftsbereichsleiter Matthias Nowak sowohl die Konzeption als auch den praktischen Alltag der Einrichtung. Die Gäste konnten sich nach einer intensiven Diskussion bei einer Führung vor Ort von der durchdachten Konzeption überzeugen.
Nachdem ein Programm (Besuch des Behandlungszentrums für Folteropfer, BFU in Ulm) leider Corona-bedingt ausfallen musste, endete die wieder einmal sehr informative Bildungsreise der Bayerischen Bezirksrät*innen bei einem abschließenden Besuch des Weinbaumuseums in Stuttgart-Uhlbach, in dem den Teilnehmer*innen die Besonderheiten des württembergischen Weinanbaus (Rebsorten, Terroir u.v.m.) näher gebracht wurden.

Peter Gack