Die Tourismusbranche sicher durch die Krise bringen

Autorenpapier von Markus Tressel MdB, Stefan Schmidt MdB

6-Punkte-Plan für die Branche, Tourismusregionen und betroffene VerbraucherInnen

Das neuartige Coronavirus legt die gesamte Tourismuswirtschaft lahm – nicht nur deutschland-, sondern auch EU- und sogar weltweit. Bereits jetzt sind touristische Unternehmen existentiell bedroht. Vor allem Reisebüros, Gastronomie und Gastgewerbe, aber auch kleinste und kleine Tourismus- und Veranstaltungsbetriebe, Familienunternehmen sowie Selbstständige bangen Tag für Tag um ihre Existenz. Diese wirtschaftliche Notlage ist nicht nur einmalig, sie ist auch erstmalig in dieser weitgehenden Form.

Gesetzliche Regelungen, die in normalen Zeiten dem Verbraucherschutz dienen, haben in der aktuellen Situation ungewollte Auswirkungen auf die Reisebranche. Angesichts der globalen Reisewarnungen müssen Veranstalter Reisen stornieren und den KundInnen den vollen Reisepreis erstatten. Reisebüros wiederum verlieren aufgrund der Stornierungen ihre Provisionsansprüche auf bereits getätigte Buchungen und somit ihre Einnahmen. In normalen Zeiten könnten Reisebüros und Veranstalter diese Verluste durch neue Buchungen kompensieren, aber angesichts des eingeschränkten Reiseverhaltens aufgrund der Pandemie sind Neubuchungen zum Erliegen gekommen. Reisebüros und Veranstalter stehen nicht nur vor hundertprozentigen Einnahmeausfällen und dem Ausfall der Sommersaison, sondern vor einem erheblichen – im Reiserecht begründeten – Mittelabfluss.

Darauf muss die Politik reagieren. Die Lösung kann nicht darin bestehen, jetzt Verbraucherschutzstandards zu reduzieren und das Problem auf die Endkunden zu verlagern. Der Bund muss in dieser einmaligen Situation die Reisebranche stützen, damit Vermittler und Veranstalter ihre Verpflichtungen einhalten können, ohne daran wirtschaftlich zu zerbrechen.

Nicht nur im Reisevertrieb und bei den klassischen Reiseveranstaltern hängen hunderttausende Jobs an diesem Wirtschaftszweig. Für viele, gerade ländlich geprägte Regionen ist der Tourismus der zentrale Motor der lokalen Wirtschaft und ganze Regionen hängen in ihrer wirtschaftlichen Prosperität vom Tourismus ab. Deshalb ist konsequentes Handeln auch strukturpolitisch das Gebot der Stunde.

Die Politik muss dafür sorgen, dass trotz Krise die touristischen Strukturen in den Destinationen gewahrt bleiben. Deswegen – und weil hunderttausende Arbeitsplätze und mit ihnen ein hohes Wertschöpfungspotenzial an der Reisewirtschaft hängt – müssen wir diesen Wirtschaftszweig in besonderem Maße unterstützen. Denn ein Aufschwung nach der Corona-Krise kann nur gelingen, wenn die Tourismusbranche die gegenwärtige Krise übersteht, Strukturen erhalten und Fachkräfte gesichert werden. Deshalb schlagen wir nachfolgende Instrumente und Sofortmaßnahmen vor.

Angesichts der raschen, beinahe täglichen Veränderungen, spiegelt das Papier nur eine Momentaufnahme wider. Einzelne Forderungen sollten im Lichte der weiteren Entwicklung eventuell nochmals neu beurteilt werden.

1. Effektive Unterstützung für den Reisevetrieb ermöglichen

Reisebüros befinden sich durch die Corona-Pandemie in einer besonders schwierigen Lage: Buchungen und damit Provisionen sind völlig weggebrochen. Zudem buchen Reiseveranstalter Provisionen für stornierte Reisen zurück, weil der Provisionsanspruch entfällt, wenn gesetzliche kostenlose Rücktrittsrechte gelten. Damit müssen Reisebüros sogar die Vergütung für bereits erbrachte Leistungen zurückzahlen, während Kosten wie Mieten, Personalkosten, andere Fixkosten und Kredite weiterlaufen.

Deshalb muss die Bundesregierung im Rahmen der verabschiedeten Hilfspakete eine besondere Unterstützung für die für die Reisewirtschaft ermöglichen. Damit sollen nach Möglichkeit als Einnahme entfallene Provisionen für diejenigen Reisen kompensieret werden, die vor dem Inkrafttreten der weltweiten Reisewarnung gebucht wurden und nun zur Rückzahlung anstehen. Andernfalls droht vielen Reisebüros die Insolvenz und damit auch unzähligen Beschäftigten die Arbeitslosigkeit. Damit würden Strukturen und Fachwissen verloren gehen, das nicht ersetzbar ist und ein Wiederanfahren der deutschen Reisewirtschaft massiv erschweren würde. Was dieses Fachwissen wert ist, hat sich gerade in den letzten Tagen und Wochen gezeigt, als Reisebüros unentgeltlich viele Beratungs- und Serviceleistungen für verunsicherte KundInnen und bei der Rückholung zahlreicher Reisender erbracht haben.

Gerade bei diesen – überwiegend kleinen und mittleren – Unternehmen sollten im Rahmen der Soforthilfe eher Direktzahlungen als Kredite zum Einsatz kommen.

2. Kundengelder sichern und Veranstalter stützen

Wegen der globalen Reisewarnungen werden derzeit nahezu alle Reisen storniert. Dadurch haben KundInnen – gesetzlich normiert – das Recht auf eine Erstattung des angezahlten Reisepreises innerhalb von zwei Wochen. Angesichts von Kurzarbeit und Existenzbedrohung werden die VerbraucherInnen nur schwerlich freiwillig auf die Rückzahlung des angezahlten Reisepreises verzichten wollen. Reiseveranstalter sind damit aber in einer Zwickmühle: Sie können die Erstattung des Reisepreises nicht aufschieben, aber durch die Rückzahlung bereits vereinnahmter Umsätze drohen vielfach Liquiditätsengpässe bis hin zur Zahlungsunfähigkeit. Die Bundesregierung muss deshalb sicherstellen, dass im Umgang mit Anzahlungen auf gebuchte Reisen geltende Gesetze eingehalten, Kundengelder erstattet und gleichzeitig die deutschen Reiseveranstalter liquide gehalten werden.

Dazu muss die Bundesregierung mit langfristigen Darlehen aus den Mitteln der verabschiedeten Programme und mit Hilfe der KfW sowie der Hausbanken die bis Ende April zurückgezahlten Kundengelder refinanzieren. Zudem muss die Bundesregierung die Nothilfe auch für Unternehmen zwischen 11 und 50 Mitarbeitern prüfen, da ein großer Teil der Reisewirtschaft mittelständisch geprägt ist. So lassen sich eine Welle von Veranstalterinsolvenzen verhindern und tausende Arbeitsplätze sichern, ohne dass VerbraucherInnen auf ihr Geld verzichten bzw. den Veranstaltern über Gutscheine einen Kredit geben müssen.

3. Arbeits- und Fachkräfte sichern

Hotels, Gasthäuser, Jugendherbergen, Ferienwohnungen, Restaurants, Gaststätten, Kneipen, Kultur- und Veranstaltungsbetriebe prägen unsere Destinationen. Es gilt, diese Strukturen zu bewahren und zu schützen. Dazu gehört besonders, Arbeits- und Fachkräfte auch in der Krise zu binden. Sie sind das Rückgrat unserer Tourismusdestinationen. Wenn das Personal in größerem Ausmaß wegbricht, brechen gleichzeitig die touristischen Strukturen weg.

Die Tourismusbranche ist bereits heute in großem Ausmaß von einem Arbeits- und Fachkräftemangel betroffen. Deshalb fordern wir eine effektive Unterstützung der Erwerbstätigen im Tourismus, z.B. durch unbürokratische Hilfen bei aufstockenden Leistungen. Damit vermeiden wir finanzielle Härten, beispielsweise durch eine krisenbedingte Verringerung der Arbeitszeit, vor allem für die Saisonkräfte, Beschäftigte im Niedriglohnbereich, MinijobberInnen und Beschäftigte, die zum Mindestlohn arbeiten. Die Arbeitsagenturen sind hier in besonderem Maße aufgefordert, proaktiv auf die betroffenen Betriebe zuzugehen und Unterstützung anzubieten. Für Beschäftigte in Kurzarbeit fordern wir eine generelle Anhebung des Kurzarbeitergeldes auf 80% des Regelgehalts. Diese Maßnahme ist gerade angesichts des niedrigen Lohnniveaus für die Beschäftigten im Tourismussektor besonders wichtig.

Der Bund muss mit einem Hilfsfonds die Kommunen dabei unterstützen, Lohnfortzahlungen sicherzustellen, wenn touristische Einrichtungen behördlich geschlossen werden. Gleiches muss für Fälle gelten, in denen ArbeitnehmerInnen ausfallen, weil Kitas oder Schulen geschlossen werden. Weil die Lohnfortzahlung in den ersten sechs Wochen über die Arbeitgeber läuft, muss die Entschädigung der ArbeitgeberInnen durch die Behörden schnell und unbürokratisch abgewickelt werden, damit ArbeitnehmerInnen weiter Lohn erhalten können.

4. Stundungen von Steuern und Sozialabgaben für touristische Betriebe ermöglichen

Für kleine und mittlere Unternehmen ist die zinslose Stundung von Steuerzahlungen und Sozialbeiträgen besonders wichtig. Darüber hinaus fordern wir, die Steuer-Vorauszahlungen bis auf Null herabzusetzen, um die Liquidität der betroffenen Unternehmen zu stützen. Die Unternehmen sollten die Höhe ihrer Vorauszahlungen formlos und ohne Nachweise auf den von ihnen beantragten Wert festsetzen lassen können.

Außerdem sollte die bei der Umsatzsteuer die Grenze für die Ist-Besteuerung von derzeit 600.000 Euro auf 2 Mio. Euro Umsatz angehoben werden. Hierdurch hätten deutlich mehr Unternehmen die Möglichkeit, Liquiditätsabflüsse zu vermeiden und die Steuer erst dann zu zahlen, wenn sie diese auch vereinnahmt haben.

5. Kurze Kommunikationswege –Bürokratiearme Hilfen

Insbesondere kleine Unternehmen mit hohen Fixkosten sollten schnell und ohne bürokratische Hürden Liquiditätshilfen erhalten. Einfache Nachweise, die die Umsatzeinbußen durch die Pandemie belegen, sollten ausreichen, um Hilfen zu erhalten.

Liquiditätshilfen müssen für Unternehmen einfach und bürokratiearm zugänglich sein. Die Tilgung sollte und über einen langen Zeitraum und zinslos ermöglicht werden. Die Risikoübernahme für kurzfristige Liquiditätshilfen durch die KfW muss erhöht werden.

Die Vergabe muss durch die KfW so unkompliziert wie möglich gestaltet werden, zumal auch die Hausbanken als Vermittler in der aktuellen Situation überlastet und durch die Quarantänemaßnahmen eingeschränkt sind.

6. Europäische Zusammenarbeit sinnvoll gestalten

Die Regierungen Europas müssen vor allem in der aktuellen Krisensituation besser zusammenarbeiten und länderübergreifende Lösungen entwickeln.

Die Coronakrise ist eine globale Krise. Es ist der falsche Weg sich in die Nationalstaaten zurückzuziehen. Die Liquiditätshilfen der EU und der einzelnen Staaten müssen sinnvoll miteinander abgestimmt werden. Einzelne Mitgliedsstaaten werden unter Druck der Finanzmärkte geraten und müssen in einem solchen Fall unterstützt werden. Wir benötigen einen europäischen Rettungsschirm für den Tourismus, die europäische Tourismuspolitik muss damit Hand in Hand gehen.

Die europäische Regionalpolitik muss die touristischen Regionen explizit berücksichtigen. Innerhalb des ESI-Fonds, also innerhalb der europäischen Fördertöpfe für die Regionen, muss der Tourismus zukünftig eine bedeutendere Rolle spielen. Um die Folgen der Krise für die Tourismusbranche abzufedern, dürfen die derzeitig diskutierten Kürzungen von bis zu 25% in der europäischen Regionalpolitik im Rahmen des neuen Mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027 (MFR) keinesfalls umgesetzt werden.